Temperatur & Wärmeform im FDM-3D-Druck – Tg, HDT & Tempern

Wie warm darf ein gedrucktes Teil werden, bevor es sich verformt? Im FDM sind zwei Kennwerte wichtig: Glasübergang (Tg) und Wärmeformbeständigkeit (HDT/Vicat). Dieser Leitfaden erklärt die Unterschiede, zeigt Praxiswerte je Material, beschreibt das Tempern (Nachwärmen) und liefert Tests für belastbare Anwendungen. Ergänzend: Material-Vergleich, Konstruktion FDM-gerecht, Ausrichtung.

Tg vs. HDT – kurz & knapp

  • Glasübergang (Tg): Bereich, in dem ein Thermoplast „weich“ wird. Oberhalb Tg nimmt Steifigkeit deutlich ab; bei PLA schon im Sommerauto kritisch.
  • HDT/Vicat: Verformungsgrenze unter Last. Für Funktionsteile relevanter als Tg.
  • Praxis: Umgebungstemperatur + Sonneneinstrahlung + Einbaulage entscheiden. Innenraum-Peaks im Pkw können 60–70 °C erreichen, nahe Windschutzscheibe kurzzeitig noch mehr.

Startwerte je Material (Orientierung)

Bereiche sind typisch – exakte Werte hängen von Hersteller/Charge, Farbe, Druckparametern und Nachbehandlung ab.

MaterialTg (°C)HDT/Vicat (°C)Praxis-Hinweise
PLA~55–60~50–60Formstabil nur bis lauwarm; im Auto oder an Motoren ungeeignet. Tempern kann helfen.
PETG/PCTG~75–85~65–80Deutlich zäher als PLA; kurzzeitig im Auto meist ok, direkte Sonneneinstrahlung beachten.
ASA/ABS~100–105~85–100Für Außeneinsatz/Auto geeignet; ASA UV-stabiler als ABS.
PC~140–150~110–130Sehr temperaturfest; Kammer/Hochtemp-Setup empfohlen.
PA (Nylon)~45–70~70–100Feuchteaufnahme beeinflusst Wärmeform & Maß – trocken drucken!
TPU~−~60–90Gummielastisch; bei Wärme weicher. Shore-Härte & Herstellerangaben beachten.

Tempern (Annealing) – Wärmefestigkeit von PLA & Co. erhöhen

Durch kontrolliertes Nachwärmen kristallisiert das Material stärker aus – die Wärmeformbeständigkeit steigt, allerdings mit Schrumpf-/Verzugrisiko.

  • Geeignet: PLA, PLA-Blends, teils PCTG/PETG (Herstellerangaben prüfen).
  • Setup: Umluftofen/Dehydrator mit exakter Regelung; keine Mikrowelle. Lebensmittelofen nur, wenn getrennt genutzt.
  • Ablauf (Richtwerte PLA): 80–100 °C für 20–45 Min (Teil liegt plan, Distanzstücke); danach im Ofen langsam abkühlen lassen.
  • Schrumpf messen: Vorher / nachher messen; bei Funktionsteilen Toleranzen einplanen oder Tempern am Rohling, erst danach Endmaß spanend herstellen.

Konstruktion & Parametrik für Wärme

  • Wandstärke/Perimeter erhöhen, Ecken großzügig verrunden, Kerben vermeiden.
  • Ausrichtung: Layerstoß nicht quer zur Hauptlast; siehe Ausrichtung.
  • Materialwahl an Umgebung anpassen: ASA für UV & außen, PC für hohe Temperaturen.
  • Farbe & Pigmente: Dunkle Farben absorbieren mehr Wärme → Farben-Guide.

Schnelle Praxis-Tests

TestBeschreibungWorauf achten?
Heißluft / Föhn (vorsichtig)Mit Abstand erwärmen, bis Material nachgibtNur zum Vergleich; lokale Überhitzung vermeiden
Temper-OfenTeil auf Distanzstücken, Temperatur schrittweise erhöhenVerzug/Schrumpf messen; Parameter notieren
FunktionsprobeEinbau-nahe Situation (Gehäuse/Auto) mit ThermometerLangsam steigern; Sicherheitsreserve ≥10 °C

Typische Szenarien & Empfehlungen

SzenarioEmpfehlung
Halter im Pkw-InnenraumASA oder PC; Perimeter 4–5; dunkle Farbe vermeiden; Test im warmen Fahrzeug
Abdeckung in der Nähe eines MotorsPC oder PC-Blend; geschlossene Kammer; Top/Bottom dick, Schraubpunkte mit Inserts
PLA-Bauteil minimal wärmeres UmfeldTempern (80–100 °C) testen; evtl. auf PCTG wechseln

Fehlerbilder & Abhilfe

ProblemUrsacheLösung
Teil verzieht sich bei WärmeTg/HDT unterschätzt; dünne WändeMaterial mit höherer HDT, Perimeter ↑, Tempern prüfen
PLA wird „gummiartig“Temperatur nahe/über TgTempern oder Materialwechsel auf PCTG/ASA/PC
Schrumpf nach TempernKristallisation/SpannungsabbauTest-Coupons; erst tempern, dann Endmaß bearbeiten

FAQ

Reicht Tg, um die Temperaturgrenze zu kennen?
Nein. Für belastete Teile ist HDT/Vicat entscheidender. Tg zeigt nur den Beginn des „Weichwerdens“ an.
Kann ich jedes PLA tempern?
Viele ja, aber Schrumpf/Verzug sind materialabhängig. Tests mit kleinen Coupons sind Pflicht.
Wie simuliere ich Sommerhitze im Auto?
Teil in den Ofen bei 60–70 °C oder im geschlossenen Fahrzeug mit Temperaturfühler testen – nie unbeaufsichtigt.

Weiterführende Themen

Mit der passenden Materialwahl, konstruktiver Reserve und – wenn sinnvoll – Tempern bleiben FDM-Teile auch bei Wärme formstabil und zuverlässig.